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Anthony Elms: Ich vermisse Christopher. KVL Bulletin. 2020.

Ich vermisse Christopher; Ich vermisse seine Arbeit in unmittelbarer Nähe. Als ich die Anfrage des Kunstvereins Langenhagen bekam, Gedanken und Erfahrungen zu Christophers Arbeit nach der Organisation der Ausstellung 2015 ‘Christopher Knowles: In a Word’, mit Hilton Als, zu teilen, fällt mir nichts tiefgründigeres ein. Es war eine Ehre, Christopher, seine Arbeit und diejenigen, die ihm wichtig sind, zu beherbergen. Ich vermisse sie alle.

Um zu erklären, wie sehr ich Christophers Arbeit vermisse, könnte es hilfreich sein, meine tief verwurzelten Zweifel an der Idee der kuratorischen Praxis zu erwähnen. So etwas gibt es zumindest auf intellektueller Ebene nicht. Wie bei so vielen Dingen im Leben ist der Kern des Kuratierens: lernen zuzuhören, lernen Fragen zu stellen, lernen akzeptierte Wege und Geschichten zu verwerfen, lernen Zeit zu verbringen - hoffentlich mit jemandem; lernen, sich um Werte und Menschen zu scheren, die anders sind als du. Lernen nicht zu wissen. Lernen Raum für die Erweiterung von Erfahrungen zu schaffen, lernen wie sich Bedeutung und Aufmerksamkeit erweitern können. Lernen falsch zu liegen. Lernen, dass du nicht das Zentrum bist. Kurz gesagt: die Arbeit mit Christopher war nicht anders als mit jedem anderen Künstler oder Künstlerin. Sicherlich werden die Erfahrungen und Geschichten eindeutig individualisiert, aber eben auf die übliche Weise. Du lernst, dich genug abzubremsen, um zu hören, was für ihn wichtig ist, anstatt nach Werken zu suchen, die deine eigenen vorgegebenen Werte und Rahmenbedingungen erfüllen.

Auf die Zeit mit Christopher habe ich jahrzehntelang hingearbeitet. 1989 begegnete ich Christopher Knowles zum ersten Mal wissentlich über das ihm gewidmete Kapitel in Laurence Shyers ‘Robert Wilson and His Collaborators’. Da ich bereits begeistert von Wilsons Theaterwerken und ein Fan von Paul Thek, Philip Glass, Lucinda Childs und vielen anderen war, die Zeit im Wilson-Orbit verbracht haben, war dieses Kapitel ein Volltreffer. Was mich anfangs zu Wilsons Theaterwerken zog, war das Tempo und der Gebrauch der Sprache. Diese abstrakte und doch sehr präzise, holzige und scheinbar immer im Bau befindliche Sprache ist fesselnd. Und die blitzschnelle Sprechweise die sich gegen den natürlichen Rhythmus sträubt hat etwas mystisches. Trotz einiger herablassender Kommentare gegenüber Christopher hat mich Shyers Buch immerhin darauf hingewiesen, dass ein Großteil dieser Sprachlichen Form von Knowles entwickelt wurde oder stark von ihm beeinflusst wurde. Bedenkt man wie einflussreich Wilsons Performances waren, ganz zu schweigen von dem Eindruck den Einstein on the Beach (Libretto teilweise von Knowles) in der zeitgenössischen Musik hinterlassen hat, war hier ein wichtiger Mitwirkender, Christopher Knowles, mit einem übergroßen Einfluß auf zeitgenössischer Performance, Musik und Poesie, der gleichzeitig kaum Anerkennung für seine Arbeit bekam. Die Jagd war eröffnet. Als ich in den frühen 2000er Jahren schließlich auf die dunkle Seite der Macht zur kuratorischen Praxis wechselte, geisterte mir Christopher stets als die ‘Ausstellung meiner Träume’ durch den Kopf.

Im Jahr 2015 gab es endlich die Gelegenheit. Zunächst war es frustrierend: Christopher hatte kein Stipendium, wenige Rezensionen oder Interviews, nicht einmal einen brauchbaren Katalog bekannter Werke. Als ich Christopher anfänglich fragte, was er sich für die Ausstellung wünschte, machte er keine Vorgaben. Und da saß ich nun; mehr als je zuvor hörend und staunend. Als wir während seines Besuchs im ICA durch die Ausstellungsräume spazierten bemerkte Christopher beiläufig: "Lego-Flaggen kommen dorthin" und ging weiter. Snap. Sei aufmerksam und sammle diese Arten von Schwingungen. Seine Wegbegleiter. Noah Khoshbin, Andrew Gilchrist und Clifford Allen sowie Lauren DiGuilio, ebenso Bridget Donahue, all jene die in den letzten Jahren mit Christopher zusammengearbeitet haben. Akzeptiere alle Angebote und vergesse, wonach ich gesucht habe. Hör zu, wie Silvia Netzer und Christopher miteinander sprechen. Genieß seine zahlreichen Witze, Ausflüge zu wichtigen Orten und das freudige Teilen von Lieblingsplatten. Click. Beachte seine Wohnung. Pause. Denke an das Haus der Familie in Bellport und an die Gespräche seiner Eltern Ed und Barbara. Seine Schwestern. Was ich zu schätzen gelernt habe, war das Detail. Auch den Schleier der Zeit welcher jegliches Detail verdunkelt. Menschliches und humorvolles gedeiht überall in Christophers Werk. Für einen Erstleser stehen zunächst die Abstraktion und das Sprachspiel im Vordergrund. Aber mit Aufmerksamkeit erkennt man, dass die Bausteine der Typings, der Malereien und der Klangcollageroutinen Dinge sind, in die ihn etwas angehen: die Namen von Freunden und Menschen, die ihn umgeben, Formen die von vertrauten architektonischen Details entlehnt sind, Auflistungen von Straßen die er kennt, geliebte Spiele und Jahreszeiten und diese hopsenden Hits der 60er und 70er Jahre, die ihn bewegen. Was nicht bedeutet, dass die Arbeit schlicht biografisch ist.

"Beeeescope." Ich höre das motorische Klackern von Schreibmaschinentasten und sehe die durchlässige verführerische Natur von Buchstaben, die konkrete Abstraktion von Sprachen. "Beeeescope." Jetzt höre ich auch das Zischen einer alten Dampfheizung, der eine langjährige Familienwohnung wärmt. "Beeeescope." Ein regulierender Rhythmus, der die Routine des Lebens festlegt in einem gesetzten Tempo. Christopher nimmt auf bemerkenswerte Weise einen täuschend einfache Abkürzung zu den formalen Möglichkeiten des Materials, das ihm zur Hand ist - kleine Spuren, so unbemerkt wie der Alltag selbst. Er verdrahtet persönliche Spuren, die nur zu oft als selbstverständlich angesehen werden, mit besonderer Aufmerksamkeit für ihre Bezeichnung und einem klugen Spiel mit der Syntax, in unbeobachteten Mustern, um Räume und Landschaften zu öffnen, die gleichwohl eng strukturiert, wie auch ungewohnt und neu eingerichtet sind.

Seine Sprache und Formen sind immer verkörpert. Wenn du keine Zeit hast für Menschen an der Peripherie oder besorgt bist, es gäbe dringenderes zu erledigen, wenn du einiges für nicht wichtig genug erachtest oder es dir einfach zu verflucht lange dauert, wird sich dir Christophers Arbeit niemals erschließen. Zeit mit Christophers Arbeit zu verbringen bedeutet, buchstäblich Zeit mit seiner Welt zu verbringen - während sie gebaut wird. Nicht mit einem Vorschlag für eine Welt entlang zitierter Referenzen und Überzeugungen, sondern mit einem tatsächlich gelebten - hier und jetzt - von Freunden, familiären Räumen, Lieblingsliedern und Frustrationen, das sich in Formen der Teilnahme entfaltet. Was ich bei der Arbeit mit Christopher gelernt habe, ist, dass wichtige Dinge so selten als wichtig anerkannt werden und darin ihre Bedeutung liegt. Nun da ich die Arbeit noch genauer kenne als zuvor, wünschte ich mir, ich hätte mehr Zeit für Christopher, seine Familie, Freunde und euch alle, die diese Erinnerung lesen. Es gibt noch so viel Raum für Geschichten.

Anthony Elms ist durch Daniel und Brett Sundheim finanzierter leitender Kurator am Institute of Contemporary Art der University of Pennsylvania. Dort organisierte er 2015 gemeinsam mit Hilton Als die Retrospektive Christopher Knowles - In a Word. Als unabhängiger Kurator organisierte er viele Ausstellungen, unter Anderem A unicorn Basking in the Light of Three Glowing Suns (mit Philip von Zweck) und Sun Ra, El Saturn & Chicago’s Afro-Futurist Underground,1954-68 (mit John Corbett und Terri Kapsalis). Er war einer von drei Kuratoren der Whitney Biennial, 2014.

Das Bulletin zur Ausstellung kann hier heruntergeladen werden: www.kunstverein-langenhagen.de/publications